Karfreitag in Mexiko

22 Apr

Es ist nicht jedermanns Sache zuzusehen, wie Menschen leiden, und die meisten Menschen sehen wohl nicht ein, warum sie sich selbst Leid zufügen und sich selbst kasteien sollen. In Mexiko sehen das viele religiöse Menschen etwas anders.

Leidensweg Christi - Iztapalapa

Leidensweg Christi - Iztapalapa

U.a. in Iztapalapa, einem Vorort von Mexiko-Stadt, und in der Silberstadt Taxco wird der Leidensweg Christi in Originalzeit – also von neun Uhr morgens bis zur Kreuzigung um drei Uhr nachmittags – nachgestellt. (Foto: Yavidaxiu unter C.C. )

Es gilt als grosse Ehre, die Rolle Jesu übernehmen zu dürfen und eine echte Dornenkrone und ein schweres Kreuz (90 kg) zu tragen und und immer wieder malträtiert zu werden. Diese Leidensfigur wird in Taxco von einer recht grossen Schar von Männern begleitet, die Kapuzen tragen und auf dem Rücken dicke und schwere Bündel von dornigen Ästen, so dass die Rücken so blutüberströmt sind wie das Gesicht des Christus. Dieser Zug zieht langsam durch die Stadt bis zum traditionellen Kreuzigungsplatz (in Iztapalapa ist dieses Golgatha der Cerro de las Estrellas (Sternenhügel, dort war in vorspanischen Zeiten schon ein indianisches Heiligtum), wo Jesus dann gekreuzigt wird.

In Iztapalapa, wo schon am Palmsonntag das Nachstellen der gesamten Karwoche beginnt, versammeln sich jährlich etwa zwei Millionen Menschen, um den Leidensweg zu sehen. Auch in Taxco drängen sich viele Menschen, ebenso in Patzcuaro/Michoacan.

Die Motive zur Selbstkasteinung sind sehr privater Natur – es kann eine Busse sein, es kann einfache nur tiefe Religiosität sein. Die Tradition des Kreuzwegs kommt aus dem spätmittelalterlichen Europa (in Oberammergau sind die Passionsfestspiele ein noch lebendiges Zeugnis dieser Tradition und auch in Spanien und Italien lebt dieses Brauchtum fort), fiel aber auf fruchtbaren Boden in „Neu-Spanien“ (so hiess Mexiko bis zu den Befreungskriegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts), da auch die indianische Religion die Selbstkasteiung kannte und die Menschen den Göttern ihr Blut opferten – die Menschenopfer waren nur eine extreme Steigerung der Vorstellung, dass die Gottheiten das Blut der Menschen verlangten. Zu diesen beiden Wurzeln hinzu kommt die Auffassung, dass Freud und Leid nur die zwei Seiten ein und derselben Medaille sind und abdingbar zusammen gehören (siehe auch Blog „Mexikanische Lebensphilosophe“ vom 3. Juli 2009).

Hier in Puerto Vallarta kann man morgens einen kleinen und zeitlich sehr verkürzten Kreuzzug sehen, der vormittags am Malecón und auch am Hausstrand der Stadt entlang zieht – wo sich dann später eine sehr grosse Schar mexikanischer Touristen ein vergnügliches und fröhliches Strandleben gönnen. Aber natürlich schweigen auch in Mexiko die Glocken bis zur triumphalen Auferstehung am Ostersonntag mit seinen feierlichen und sehr gut besuchten Gottesdiensten (die Gläubigen stehen dabei bis auf die Strasse)  – auch das eine Vorstellung die dem indianischen Glauben an die Wiedergeburt sehr nahe kam.