Die Flieger von El Tajin – oder die Achtung der Natur als Grundgedanke indianischer Kulturen

10 Apr

Wenn Sie über den Malecon schlenern, dann sehen sie mit etwas Glück, wie vier farbenprächtig  gekleidete Männer kopfunter einen hohen Mast umschweben, auf dessen Spitze ein fünfter tanzt und die Flöte bläst.

Das Seil, das am Fussgelenk jedes einzelnen befestigt ist und den Flieger sichert, ist in 25 Meter Höhe so gewickelt, dass die Männer den Mast dreizehn Mal umkreisen, multipliziert mit vier ergibt das die Zahl zweiundfünzig – das geheiligte „Jahresbündel“ des indianischen Kalenders, nach dessen Ablauf quasi ein neues „Jahrhundert“ beginnt – so wie der Mayakalender,  der im Dezember 2012 abläuft, einen tiefen Zeiteinschnitt markiert, vergleichbar etwa dem Milleniumswechsel im Gregorianischen Kalender, nach dem wir die Zeit bestimmen.

Flieger von El Tajin kurz nach dem beginn des Schauspiels - Foto: Bernhard Matejka

Flieger von El Tajin kurz nach dem beginn des Schauspiels - Foto: Bernhard Matejka

Würde man das Schauspiel von oben filmen, so sähe es aus wie eine sich immer weiter öffnende Spirale – und die Spirale ist in den indianischen Kulturen allgegenwärtig, vor allem in der Vorstellung, dass alle Zeit- und Naturprozesse spiralförmig ablaufen: Täglich erleben wir Sonnenauf- und Untergang, jährlich den ewig wiederkehrenden Wechsel der Jahreszeiten, nach zweiundfünzig Jahren ein neuer Zeitabschnitt,  und nach etwa fünftausend Jahren beginnt eine neue  Kalenderrunde (die gegenwärtige begann am 11. August 3114 – vgl. zur genaueren Information Wikipedia, Stichwort Maya-Kalender und den Blog vom 26. Oktober 2010) und damit ein neues Zeitalter – vom einzelnen Tag bis zur Kalenderrunde eine sich immer weiter öffnende Spirale…

Und so ist das mit allem Leben, auch dem menschlichen: Geburt und Tod sind nichts anderes als Momente einer spiralförmigen Bewegung, nach dem Tod und dem Aufenthalt in anderen Sphären beginnt ein neues Leben auf diesem Planeten – so wie man das Maiskorn in der Erde versenkt, damit es nach geraumer Zeit als Maispflanze zu neuem Leben erwacht.

Und belebt  und beseelt sind nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch die Erde und das gesamte Universum und alles befindet sich in einem ständigen spiralförmigen Prozess.

Und da die Erde belebt ist – und alles, was sie hervorbringt, – muss sie und müssen ihre Produkte respektiert und geheiligt werden.

Symbolisiert wird die Erde durch die vier Kardinalpunkte, unter denen wir die Himmelsrichtungen verstehen, ergänzt durch das oben und unten, also quasi sechs Kardinalpunkte, deshalb auch der Tänzer auf der Spitze des Mastes, der aber auch ein ganzes Stück in den Boden verankert sein muss – und unter dem früher ein Tieropfer hinterlegt worden war.

Einer der Flieger bereits in Bodennähe - Foto:  Bernhard Matejka

Flieger von El Tajin im Vogelkostüm - Foto: Bernhard Matejka

Die vier Flieger, die durch ihre Kostüme wie Vögel (Guacamayas/grosse Papageien) wirken, weisen in die vier Himmelsrichtungen, die Tänzer auf der Spitze in die „fünfte“ und damit auch auf die Sonne, das Tieropfer in die Unterwelt, aus der alles Leben hervorgeht – solange die Sonne ihren ewigen Kreislauf beibehält, wobei sie ja auch ständig ihren Auf- und Untergangspunkt ändert (wie auch die Gestirne), was wiederum wichtig ist für Regen- und Trockenzeit und die vier Jahreszeiten.

Die Götter wollen, dass sich die Menschen an allem erfreuen, was ihnen Erde und Natur geben – aber jeder darf der Natur nur so viel entnehmen, wie er wirklich zum Leben braucht,  Unmässigkeit oder willkürliche Zerstörung sind Frevel und eine Beleidigung der Götter, die sich dafür rächen.

Es kommt also darauf an, im Einklang mit der Natur und damit den Göttern zu leben und das rechte Zentrum zu haben – auch das symbolisiert der Mast mit den Fliegern und dem Tänzer, der das Zentrum darstellt.

Es sind heutzutage fast nur noch die Totonaken aus dem Staat Veracruz/Golfküste, die dieses Brauchtum pflegen, es gibt aber mittlerweile in vielen Touristenzentren diese hohen Masten, so auch in Puerto Vallarta direkt am Seepferdchen auf dem Malecón.

Früher waren diese Rituale über ganz Mesoamerika verbreitet und allgemeines indianisches Brauchtum – bis es von den Spaniern verboten wurde.

Damals gab es natürlich keine stählernen Maste, sondern man verwandte bestimmte hochwachsende Bäume. Diese wurden sorgfältig ausgesucht, dann wurde ein Ritual durchgeführt, in dem man dem Baum – er ist schliesslich ein lebendiges und beseeltes Wesen – erklärte, dass er nun zu einem höheren Zweck geopfert werden müsse, was ihm aber zu grosser Ehre gereiche. Ihm wurde dann ein Tieropfer (oft ein Huhn, dem auch erklärt wurde, das es höheren Zwecken geopfert wird) dargebracht, und er wurde sorgfältig gefällt und bearbeitet, um dann an dem gewünschten Ort in den Boden eingelassen zu werden (wo aber auch schon ein Opfer die Basis bildete), um ab sofort den heiligen Ritualen zu dienen, die helfen sollten, die Zentrierung und damit das Gleichgewicht und die gute Beziehung zu den Göttern zu bewahren  – um somit einen Garant zu haben für gute Ernten und damit für das Wohlergehen der Menschen.

Unser blauer Planet wurde u.a. von den Mayas als riesige Schildkröte aufgefasst, auf deren Rücken sich alles Leben abspielt, aber eben als lebendiger Organismus, der – verletzt man ihn – sich zur Wehr setzt und schüttelt– was sich dann als Erdbeben auswirkt.

Wir nüchternen Menschen des 21. Jahrhunderts wissen natürlich, dass Erdbeben durch die Plattentektonik ausgelöst werden – aber offenbar sind wir nicht nüchtern genug, um zu wissen, wo unsere Grenzen sind… Für die indianischen Völker Nordamerikas waren die Gebiete, wo Uran lagert, Tabuzonen, von denen man sich fernhalten musste. Wir wissen um die Gefahren des Uranabbaus – und der -aufbereitung und –verwendung und (End-) Lagerung (vgl. dazu Wikipedia) und glaub(t)en alles beherrschen und uns vor den grossen Gefahren schützen zu können…..

Das Denken – der Natur nur das zu entnehmen, was man wirklich braucht und nur dann in sie einzugreifen, wenn es wirklich notwendig und unbedenklich ist – ist zumindest  in der indianischen Bevölkerung Mexikos immer noch stark verwurzelt. So wiesen mich Kinder aus dem Stamm der Lakandonen in Chiapas auf eine knallgrüne riesige Raupe hin und erklärten mir, dass deren dicker „Pelz“ hochgradig ätzend sei, wenn man mit der Raupe in Berührung käme – und nahmen sie sorgfältig mit einem Blatt auf und setzten sie auf einen Baum, der ein ganzes Stück abseits stand, so dass sie niemandem auf den Körper fallen konnte. Bei sehr vielen Menschen aus unserer Kultur hätte diese gefährliche Raupe wohl sehr schnell ein sehr jähes Ende gefunden…

Vielleicht sollte man darüber nachdenken, was mit dem Wort „macht Euch die Erde untertan“ gemeint war – friedliche und repektvolle Nutzung und Gefahrenabwägung oder habgierige und blinde Ausbeutung und z.T. Ausrottung von Tier und Pflanzenarten und Gefährdung von Menschenleben.

El-Tajin

El-Tajin

El Tajin – berühmt für die Nischenpyramide – war eine grosse ausgedehnte Kultstätte. Der Name bedeutet „Blitz“, die Nischenpyramide steht in einem engen Zusammenhang mit dem Kalender (365 Nischen).

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